Manchmal kommt er doch noch, der Ärger. Dabei bin ich schon ziemlich gut darin, ihn von mir fern zu halten. Meist hat die Ursache nämlich gar nichts mit mir zu tun. Ich werde also nicht persönlich angegriffen. Und wenn doch, so hat sich der Angreifer die Falsche ausgesucht. Wozu sollte ich mich schließlich auch mit Ärger belasten, wenn Gleichmut, Gelassenheit und – ja ich gebe es zu – ein wenig Überheblichkeit auch als Option zur Verfügung stehen.
Manchmal ist man aber auch betroffen, wenn man gar nicht gemeint wurde. Im Stau etwa. Oder in einem Konzert. Dann also, wenn es keine Möglichkeit gibt, auszuweichen. Dann kommt er doch noch, der Ärger.
Laut Verena Kast, wenn ich sie richtig verstanden habe, ist Ärger ein Zeichen dafür, wo unsere Grenzen beginnen. Mit dem Ärger nehmen wir Kontur an, spüren wer wir sind. „Bis hierher und nicht weiter“ könnte man das Gefühl in Worte fassen. Tja, aber wie kann man diese Signale in der Praxis für sich nutzen? Ohne sich selbst zu verleugnen. Und ohne stärker um sich zu schlagen, als es die Situation erfordern würde.
Denn irgendeine Reaktion muss man schließlich für sich finden. Und wenn diese Reaktion adäquat ist, verfliegt auch der Ärger. Zumindest bei mir dürfte es so sein. Scheinbar geht es also gar nicht um den Angriff sondern vielmahr um das Finden einer angemessenen Erwiderung darauf, um den Ärger in den Griff zu bekommen und die Situation als Erfolg einzustufen.
Letzte Woche, zum Beispiel, war ich bei einem Konzert. Ich habe mir Zeit genommen, ein Ticket organsiert, die Anreise auf mich genommen. Und das alles nur, um eine bestimmte Band zu sehen und zu hören. Leider war beides zunächst nicht möglich. Der an sich gute Blick auf die Bühne wurde von einem Handy-Display verdeckt. Und die Musik – der Sound wäre ausgezeichnet gewesen – wurde von vier heftig tratschenden Damen hinter mir übertönt.
Das Bild der drei Affen, die sich selbst Augen, Ohren und Mund zuhalten, drängte sich auf. Hätte mir nun noch ein „dritter Affe“ den Mund verboten, wäre der Ärger wohl übermächtig geworden. So aber drehte ich mich nach den Damen um und bat sie um Ruhe. Zwei Mit-Leidende standen mir bei und die zwar zunächst uneinsichtigen, dann aber doch überstimmten Störenden verstummten.
Beflügelt von dem unerwarteten Erfolg überlegte ich kurz, ob ich mich zu dem Handy-Filmer nach vorne drängen sollte, um ihm ebenfalls gehörig die Meinung zu sagen, als mir das Schicksal bzw. die Schwerkraft zu Hilfe kam. Ermüdet ließ nun auch dieser Sicht-Verschmutzer die Arme sinken und ich hatte – zumindest vorübergehend – das Vergnügen, das Konzert sowohl akustisch als auch visuell genießen zu können.
Den Ärger über die vier Tratschenden hatte ich überwunden. Nur mit der Fraktion der Handy-Filmer habe ich noch eine Rechnung offen. Nun, so wie ich das sehe, wird sich spätestens beim nächsten Konzert ein Filmer finden, der sich meine Meinung anhören wird müssen. Oder sind Sie vielleicht einer von denen? Das wäre schön. Dann wäre das Thema nämlich jetzt auch für mich (zumindest emotional) erledigt….